Migräne wird von Ärzten weiterhin häufig übersehen
Kernbefund einer Umfrage unter Hausärzten: 69% diagnostizieren bei ihren Patienten häufig zervikogenen Kopfschmerz (Kopf- und Nackenschmerzen, die ihre Ursache in Veränderungen der Halswirbelsäule oder auch muskulären Verspannungen im Hals- und Nackenbereich haben). Hausärzte überweisen Patienten daher am zweithäufigsten an Orthopäden. „Dieses Ergebnis passt nicht zur epidemiologischen Datenlage. Migräne tritt deutlich häufiger auf als ein zervikogener Kopfschmerz“, so Privatdozentin Dr. med. Stefanie Förderreuther, 1. Vizepräsidentin der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG), die die Umfrage initiiert hat. „Dieses Ergebnis lässt befürchten, dass in vielen Fällen eine Migräne mit einem zervikogenen Kopfschmerz verwechselt wird“, so Förderreuther.
Von November 2020 bis Januar 2021 hat die Initiative »Attacke! Gemeinsam gegen Kopfschmerzen« der DMKG e.V. mit zwei Online-Umfragen Hausärzte (n=150, 65% Allgemeinmedizin, 35% Innere Medizin) und Kopfschmerzspezialisten (n=81) zu Diagnose und Behandlung von Kopfschmerzpatienten befragt. Bei den Kopfschmerzspezialisten waren knapp die Hälfte Neurologen, die zweite Hälfte setzte sich aus Anästhesiologen, Psychiatern und weiteren Fachgruppen zusammen. Auf Kopfschmerzen spezialisierte Orthopäden nahmen an der Umfrage nicht teil. 41% der befragten Spezialisten und 14% der befragten Hausärzte haben die Zusatzbezeichnung „Spezielle Schmerztherapie“.
Auffällig häufig diagnostiziert: zervikogener Kopfschmerz
Wurden Hausärzte nach den häufigsten Kopfschmerzarten ihrer Patienten befragt, nimmt im Ranking die Diagnose zervikogener Kopfschmerz nach dem Spannungskopfschmerz den zweiten Platz ein. Danach folgen sekundäre Kopfschmerzen, episodische und chronische Migräne, Kopfschmerz durch Medikamentenübergebrauch und Cluster-Kopfschmerz.
„Dieses Ergebnis ist für uns alarmierend“, so PD Dr. Stefanie Förderreuther, 1. Vizepräsidentin der DMKG. „Wir wissen, dass die Migräne der häufigste schwere Kopfschmerz ist, der Patienten zum Arzt führt.“ Spannungskopfschmerzen sind zwar der häufigste Kopfschmerz, doch weniger intensiv und meist erst dann ein Grund zum Arzt zu gehen, wenn sie sehr häufig auftreten. Die Prävalenz zervikogener Kopfschmerzen wird auf etwa 0,4‒2,5% geschätzt und liegt damit deutlich unter der Prävalenz der Migräne, die im Mittel bei ca. 10% liegt. Man müsse davon ausgehen, dass Migränekopfschmerzen noch immer bei vielen Patienten nicht erkannt werden, so Förderreuther. Das häufige Vorkommen von Nackenschmerzen bei mehr als zwei Drittel der Migränepatienten ist wissenschaftlich belegt. Die Nackenschmerzen sind allerdings die Folge der Migräne, nicht deren Ursache. „Möglicherweise nehmen Hausärzte hier zu häufig einen zervikogenen Kopfschmerz an und überweisen an den Orthopäden,“ schlussfolgert Förderreuther.
Ausschlussdiagnostik Migräne – Initiative fördert besseres Verständnis
Die Hausarztpraxen spielen als Erstversorger eine äußerst wichtige Rolle bei der Versorgung der Volkskrankheit Kopfschmerz. Die internationale Kopfschmerzklassifikation und die Leitlinien zur Kopfschmerzdiagnostik sind etablierte Instrumente zur richtigen Diagnose und Therapie. Die Initiative »Attacke! Gemeinsam gegen Kopfschmerzen« der DMKG unterstützt dabei. Der Verdacht auf eine Migräne kann in den meisten Fällen schon durch wenige gezielte Fragen erhärtet werden. Auf www.attacke-kopfschmerzen.de erhalten Kollegen aller Fachrichtungen Informationsangebote zur Kopfschmerzdiagnostik und -therapie.
Behandlungsmöglichkeiten noch nicht zufriedenstellend
Als häufigste Maßnahmen bei Kopfschmerzen veranlassen Hausärzte gemäß den Umfrageergebnissen eine Verbesserung der Akutmedikation sowie nichtmedikamentöse Therapien. Vorbeugende medikamentöse Therapien stehen in der Hausarztpraxis meist nicht im Vordergrund.
Zwei Drittel der Hausärzte sind mit den Behandlungsmöglichkeiten bei Kopfschmerzen nur teils zufrieden oder sogar unzufrieden, bei Migräne gut die Hälfte. Unter Spezialisten werden die Behandlungsoptionen optimistischer eingeschätzt. Hier wünscht sich nur ein Drittel bessere Behandlungsmöglichkeiten von Kopfschmerz- und Migränepatienten.
„Eine gute Therapie beginnt immer mit der richtigen Diagnostik. Die Kopfschmerzdiagnostik gilt leider noch immer als sehr komplex und es wird den Kopfschmerzpatienten nachgesagt, sie benötigten zu viel Zeit. Mit etwas Erfahrung kommt man schnell zur richtigen Diagnose und Therapie. So wird man viele dankbare Patienten haben. Es gibt zahlreiche medikamentöse und nichtmedikamentöse Optionen zur Akuttherapie und Prophylaxe. Ich würde mich freuen, wenn die hausärztlichen Kollegen öfter als bislang eine medikamentöse Prophylaxe einleiten würden. Ich bin mir sicher, dass dies die Zufriedenheit mit den Behandlungsmöglichkeiten steigern wird“, so Dr. Förderreuther.
Entspannungstechniken und Ausdauersport als wichtige Prophylaxemaßnahmen
Zur medikamentösen Prophylaxe von Kopfschmerzen und Migräne empfehlen sowohl Hausärzte als auch Spezialisten vor allem Beta-Blocker und trizyklische Antidepressiva wie Amitriptylin. Jedoch nehmen auch nichtmedikamentöse Prophylaxemaßnahmen wie Entspannungstechniken, Ausdauersport und Psychotherapie bei Hausärzten und Spezialisten eine wichtige Rolle ein. Diese Botschaft ist offenbar auch bei vielen Patienten angekommen, wie eine Forsa-Umfrage belegt: 32% der Patienten bewegen sich oder treiben regelmäßig Sport, 20% nutzen Entspannungsübungen als Maßnahme gegen Kopfschmerzen.
Von Professionals für Professionals: Attacke! Gemeinsam gegen Kopfschmerzen
Die Initiative unterstützt API auf www.attacke-kopfschmerzen.de mit einem umfangreichen Angebot:
Der Migräne- und Kopfschmerz-Guide, kurz: mk-Guide, ist eine Informations- und Fortbildungsplattform, die fundiertes, praxisrelevantes Wissen von Kopfschmerzspezialisten zusammenträgt. Durch seinen übersichtlichen und modularen Aufbau unterstützt der mk-Guide Behandler ganz gezielt bei akuten Fragen rund um das vielfältige Thema Kopfschmerz. Die Inhalte basieren auf den derzeit gültigen Standardwerken zur Behandlung von Migräne- und Kopfschmerzen, u.a. ICHD-3 und den offiziellen Leitlinien.
Praxen und Kliniken können kostenfrei Patienteninformationen rund um das Thema Kopfschmerz bestellen. Alle Unterlagen stehen auch zum Download bereit.
Quelle: DMKG, Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e. V.
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