Es begann 1986, nach einem Unfall musste ich an der Hüfte operiert werden. Die OP misslang, und es folgten fünf weitere Operationen, die aber nicht dazu führten, dass ich mich schmerzfrei bewegen konnte. Irgendwann kam der Zeitpunkt, wo ich gesagt habe: Es ist genug. Ich wollte lieber mit den Schmerzen weiterleben, als immer wieder in meinen Hoffnungen enttäuscht zu werden. Ich bekam von meinen Schmerztherapeuten viele neue und andere Medikamente, und es wurde auch sonst viel ausprobiert. Aber meine Schmerzen blieben. Ich besuchte nacheinander drei Fachärzte für spezielle Schmerzmedizin. Nachdem diese immer ratloser wurden, hörte ich auch schon mal den Satz: „Wir können nichts mehr für Sie tun.“ Dadurch wurde es für mich noch schwieriger. Ich sagte mir, wenn die Ärzte dir nicht mehr helfen können, wie soll es dann weitergehen? Die Aussichtslosigkeit wurde zur Hoffnungslosigkeit, und meine Traurigkeit darüber entwickelte sich zur Depression. Die wiederum verstärkte meine Schmerzen, und ein Teufelskreis entstand.
In dieser Zeit hörte ich von einer Selbsthilfegrupe für Schmerzpatienten, die in Lübeck gegründet werden sollte. Ich nahm Kontakt auf und lernte dort Menschen kennen, die ähnliche Probleme hatten, wie ich. Allein der Austausch in dieser Gruppe, das Zusammengehörigkeitsgefühl und das Verständnis was ich dort vorfand, waren für mich eine große Hilfe.
Inzwischen bekam ich von meinem Hausarzt Opioide, die für eine kurze Zeit die Schmerzen auf ein erträgliches Maß reduzierten. Obwohl dieses Fentanyl-Pflaster nicht so wirkte, wie ich es mir wünschte, wurde es für mich zum Heilsbringer und ständigen Begleiter. Ich glaubte einerseits, dass ich ohne es nicht mehr existieren könnte. Andererseits hatte es aber die starken Nebenwirkungen, wie Appetitlosigkeit und Müdigkeit. Letztere führte dazu, dass meine Depressionen immer stärker wurden. Nachts wälzte ich mich im Bett, weil ich wegen meiner Grübeleien nicht einschlafen konnte, und tagsüber war ich so müde, dass ich nur noch zu den Mahlzeiten aus dem Bett aufstand und widerwillig meine Hafersuppe aß. Ich fiel immer tiefer in ein Loch
und fand keinen Ausweg, meine Situation zu verändern.
Mein Arzt sagte mir, dass mir nur noch in einem Krankenhaus geholfen werden könnte. Aber da ich so viele negative Erfahrungen in Krankenhäusern gemacht hatte und ich immer wieder enttäuscht und ohne Besserung nach Hause kam, wollte ich unter keinen Umständen noch einmal dort hinein. Bis, ja bis ein guter Freund von mir – er arbeitet im Vorstand der Patientenorganisation UVSD SchmerzLOS e.V. – mir auch den dringenden Rat gab, in eine spezielle Schmerzklinik zu gehen. Er empfahl mir die interdisziplinäre Schmerzklinik in Travemünde. In meiner derzeitigen Situation wusste ich auch keinen Rat mehr und gab meinen Widerstand auf. Ich nahm Kontakt zu dieser Klinik auf und erhielt nach einigen Tagen einen sehr umfangreichen Fragebogen, den ich ausfüllen sollte. Eine Woche, nachdem ich den Fragebogen zurückgesandt hatte, erhielt ich von der Klinik einen Termin für ein Vorgespräch. Das erfolgte mit verschiedenen Gesprächspartnern und hat mehrere Stunden gedauert. Ich bekam dadurch aber schon einen Einblick, was mich dort später erwarten würde. Bis zur Aufnahme dauerte es dann aber noch einige Wochen, und die Wartezeit war für mich nur schwer zu ertragen. Aber die Hoffnung auf Besserung half mir, durchzuhalten.
Dann war endlich der lang erwartete Tag da: Montag, der 4. Dezember 2017. Vom Augenblick des Betretens der Klinik an war ich wie verzaubert. Sechs Patienten wurden an diesem Tag aufgenom-men und bildeten eine geschlossene Gruppe, die die nächsten zwei Wochen alles gemeinsam machte. Wir waren sehr überrascht, dass wir nach der Ankunft nur unser Gepäck in die Zimmer bringen sollten um dann sofort mit der Therapie zu beginnen.
Das Tempo war fast zu schnell für mich, aber ich habe alles mitgemacht und mich danach gut gefühlt. Mit 88 Jahren war ich die älteste Patientin, die Jüngste war Anfang 50. Alle Teilnehmer unserer Gruppe haben sich gut in den Therapieplan eingefügt, und alles verlief sehr harmonisch. Unser Arzt hat das lobend erwähnt, weil es wohl nicht so selbstverständlich ist.
Die Tage in der Klinik waren gut ausgefüllt, die Pausen waren relativ kurz, dass man sich bei den Mahlzeiten schon etwas sputen musste. Und schon ging es weiter:
Gruppen- und Einzelgespräche mit Psychologen, Gymnastik mit Physiotherapeuten, ärztliche Untersuchungen, Ernährungsberatung und andere Vorträge. Abends war ich richtig erschöpft und konnte so gut einschlafen.
Ab dem ersten Tag wurde ich auf neue Schmerzmedikamente eingestellt, das Fentanyl-Pflaster wurde als erstes abgesetzt.
Alles, was ich in der Therapie gelernt habe, werde ich zu Hause fortsetzen. Jeden Morgen schaue ich mir die Fotos vom medizinischen Personal auf meinem Smartphone an, die ich dort machen durfte. Und durch diese Erinnerung erhalte ich Kraft und Motivation für den neuen Tag. Ich fühle mich jetzt fast wie neu geboren. Ich kann es heute noch kaum fassen, dass sich mein Wohlbefinden so rasant verbesserte und ich wieder neuen Lebensmut bekommen habe.
Autorin:
Eine Schmerzpatientin